In der hitzigen Debatte um die Reform des deutschen Steuerrechts hat die SPD kürzlich die Abschaffung des Ehegattensplittings ins Spiel gebracht. Doch selbst innerhalb der Partei herrscht Skepsis über die tatsächliche Wirkkraft einer solchen Maßnahme. SPD-Politikerin Wiebke Esdar, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hat in einem Interview mit dem Tagesspiegel vom 8. September 2025 klar gemacht: Eine Reform würde aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht rückwirkend für bereits geschlossene Ehen gelten, sondern nur für zukünftige. Dies dämpft den erhofften “Einfluss” auf den Arbeitsmarkt und die Gleichberechtigung erheblich. Im Folgenden beleuchten wir diese verfassungsrechtlichen Gründe und ihre Implikationen Schritt für Schritt.
Der Schutz der Ehe im Grundgesetz
Das Herzstück des Arguments liegt im Artikel 6 des Grundgesetzes (GG), der Ehe und Familie als Institution schützt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in mehreren Urteilen das Ehegattensplitting als verfassungskonform bestätigt, da es die Ehe fördert und die wirtschaftliche Einheit der Partner anerkennt. Ein Meilenstein ist das Urteil aus dem Jahr 1983 (BVerfGE 61, 319), in dem das Gericht betonte, dass der Gesetzgeber die Minderung der Leistungsfähigkeit durch familiäre Verpflichtungen im Steuerrecht berücksichtigen darf – und sogar sollte, um die Ehe nicht zu benachteiligen. Ein weiteres Schlüsselurteil stammt aus 2013 (BVerfGE 133, 377; 2 BvR 909/06 u.a.), das den Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Splitting als verfassungswidrig einstufte. Hier unterstrich das Gericht, dass das Splitting die Ehe als “besondere Institution” stärkt und Ungleichbehandlungen nur unter strengen Bedingungen zulässig sind. Diese Rechtsprechung macht klar: Das Splitting ist kein reiner Steuervorteil, sondern ein Element des Verfassungsschutzes für die Ehe.
Der Vertrauensschutz als Barriere gegen rückwirkende Änderungen
Eine plötzliche Abschaffung für bestehende Ehen würde gegen den Vertrauensschutz verstoßen, der im Artikel 20 GG verankert ist und Teil des Rechtsstaatsprinzips darstellt. Paare heiraten und planen ihr Leben – einschließlich Finanzen, Karrieren und Familienmodellen – auf Basis des geltenden Rechts. Das BVerfG hat in Urteilen wie dem aus 1983 zur Einkommensteuer für Alleinerziehende (BVerfGE 68, 143) hervorgehoben, dass der Staat solche legitimen Erwartungen nicht nachträglich enttäuschen darf, ohne ausreichende Übergangsregeln oder Entschädigungen. Eine Abschaffung ohne Schutz für Bestehendes wäre vergleichbar mit einer Enteignung, da sie langfristige Planungen untergräbt. Esdar betont genau das: Der Staat darf nicht retroaktiv in bestehende Ehen eingreifen, ohne gegen grundlegende Prinzipien zu verstoßen.
Prospektive Reform: Nur für neue Ehen
Aus diesen Gründen müsste jede Reform prospektiv, also zukunftsgerichtet, ausgestaltet werden. Nur Paare, die nach dem Inkrafttreten einer neuen Regelung heiraten, würden den Vorteil des Splittings verlieren. Bestehende Ehen behielten ihn lebenslang, bis zur Scheidung oder zum Tod eines Partners. Dies folgt aus der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, die in Fällen wie dem 1958-Urteil (das eine alte Regelung kippte und zum Splitting führte) den Übergang zu neuen Systemen regelt. In der Praxis bedeutet das: Millionen von Paaren, die bereits verheiratet sind, bleiben unberührt – eine Zahl, die den unmittelbaren Effekt einer Reform stark einschränkt.
Implikationen: Langfristige Wirkung und SPD-Skepsis
Die Konsequenz ist eine verzögerte Wirkung: Die Reform entfaltet sich erst über Jahrzehnte, da der Großteil der Bevölkerung weiterhin vom alten System profitiert. Das dämpft den “Einfluss” auf gesellschaftliche Ziele wie die Förderung von Vollzeitjobs für Frauen oder die Linderung des Fachkräftemangels, die die SPD anstrebt. Esdar räumt ein, dass selbst die SPD nicht an eine schnelle Umwälzung glaubt – trotz des Reformwillens. Nach der Bundestagswahl am 28. September 2025, bei der die SPD ihre Positionen bekräftigte, bleibt die Debatte offen: Während die Union eine Abschaffung kategorisch ablehnt (“Es wird das mit der CSU nicht geben”), drängt die SPD auf Nachverhandlungen im Koalitionsvertrag. Dennoch unterstreicht dies die verfassungsrechtlichen Schranken: Eine radikale Änderung würde Jahre dauern und könnte vor dem BVerfG scheitern.
Zusammenfassend zeigt Esdars Erklärung, dass der Weg zur Abschaffung des Ehegattensplittings nicht nur politisch, sondern vor allem verfassungsrechtlich steinig ist. Bestehende Ehen genießen einen robusten Schutz, der schnelle Reformen verhindert. Für Betroffene bleibt abzuwarten, ob die Debatte nach der Wahl an Fahrt gewinnt – oder ob das Splitting als Symbol für den Eheschutz erhalten bleibt.
Referenzen:
“„Dass sich mit einer Abschaffung des Ehegattensplittings viel Einfluss nehmen lässt, glaubt allerdings auch die SPD nicht. Die Reform gelte aus „verfassungsrechtlichen Gründen nicht für eine bestehende Ehe, sondern nur für zukünftige Ehen“, sagte Esdar.“
https://www.br.de/radio/bayern1/ehegattensplitting-102.html https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=1%252520BvR%2525202298/94 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte_Texte/2018-09-27-Gutachten-Besteuerung-von-Ehegatten-anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=2 https://www.swr.de/swrkultur/wissen/archivradio/anstoss-fuer-ehegattensplitting-bundesverfassungsgericht-kippt-alte-regelung-100.html https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv068143.html https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/05/rs20130507_2bvr090906.html https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=07.05.2013&Aktenzeichen=2%252520BvR%252520909%25252F06 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/bvg13-041.html